Richter geben an der Lahn die Wasserrahmenrichtlinie auf – Politik schmückt sich mit so genanntem LIFE-Projekt

Ein Kommentar von Gerhard Kemmler zum Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 09.11.2017

Wasserkraftanalage Lollar an der Lahn im Bau. Quelle: IG Lahn

Ein aktuelles Beispiel zur Tragweite des Verschlechterungsverbotes ist die Lahn.
Die Lahn ist Lachsprogrammgewässer im Bereich Mittlerer Rhein. Sie ist Teil des so genannten LIFE-Projekts „LiLa Living Lahn – ein Fluss, viele Ansprüche“. Von der EU wird das Projekt mit 9 Mio. € für die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie und der FFH-Richtlinie gefördert.

Erheblich verändertes Gewässer

Die Untere Lahn ist eine nicht mehr benötigte Bundeswasserstraße, deren Unterhaltung ca. 8 Mio. € pro Jahr kostet. Die heutige Nutzung beschränkt sich auf Freizeit-Motorboote. Dabei ist die „Untere Lahn“ von Dietz bis zur Mündung in den Rhein 52 km mit demnächst 10 Wasserkraftstandorten als erheblich verändertes Gewässer mit weniger strengen Umweltzielen als in Absatz Art. 4 Abs. 1 der RL 2000/60/EG gefordert, als „Heavily Modified Water Bodies“ (HMWB) eingestuft.

Im Abschnitt zwischen den Wasserkraftstandorten Dausenau und Nassau münden mehrere Nebengewässer in denen sich Fische noch erfolgreich reproduzieren können. Dieses Gebiet ist als FFH-Gebiet mit Erhaltungsziel „Atlantischer Lachs“ ausgewiesen. Dagegen wird der Lachs in der Fischzönose nur mit 0,1 % beziffert. Genau in diesem Abschnitt, wo sich aufgrund der schlechten Wasserqualität der Unteren Lahn überhaupt noch Fische länger aufhalten können, ist natürlich die einzige vom Regierungspräsidium ausgewählte Monitoring-Messstelle für Fische. Wenn man den Anglern glaubt, kann man sich an den übrigen Messstellen die Kontrolle sparen, weil es sich nicht lohnt, die Angel in der „Brühe“ mit Blaualgen, mit PH Werten > 10, toxischen Ammoniak usw. auszuwerfen. Nur unterhalb von Querbauwerken, die etwas mehr durchströmt sind, halten sich noch Fische auf. In Bad Ems sind es etwa 200 m.

Die untere Lahn ist kaum noch als Fluss zu bezeichnen – eine Kette von Staustufen wäre eine treffendere Beschreibung.
Der Gesetzgeber umschreibt das mit „Erheblich verändertes Gewässer“ Quelle: © Bundesamt für Kartographie und Geodäsie 2017, Datenquellen: http://sg.geodatenzentrum.de/web_public/Datenquellen_TopPlus_Open.pdf

Außer einer Fischaufstiegshilfe in Nassau und einer rauen Rampe in Bad Ems, gibt es in den Abschnitten der unteren Lahn keine Durchgängigkeit weder auf- oder abwärts.

Wasserkraftausbau geht unvermindert weiter

Trotz dieser miserablen Verhältnisse in der Lahn geht der Wasserkraftausbau unvermindert weiter. Der Verband Hessischer Fischer e.V. hatte bereits 2016 versucht, das rechtswidrig genehmigte Wasserkraftwerk in Lollar zu verhindern. Das Gericht begründete die Ablehnung des Einspruches im Eilantrag gegen den von Regierungspräsidium Nord RLP angeordneten Sofortvollzug mit fehlender Zeit, sich mit dem komplizierten EU- Recht zu befassen. Die Notwendigkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung stellte das Gericht in Abrede. Dass, jedes Wasserkraftwerk negative Auswirkungen hat und die Umwelthaftung greift, wenn nicht eine Ausnahme nach Art. 4 Abs. 7 RL 2000/60/EG erteilt wurde, scheint das Verwaltungsgericht Gießen nicht zu interessieren. Ebenso versuchten BUND/RLP und die Anglerverbände ein weiteres Kraftwerk in Bad Ems, Untere Lahn, zu verhindern. Allein der Verband Hessischer Fischer e. V. hat dafür nicht unerhebliche Mittel in die Hand genommen, weil das Aarhus-Abkommen, jeder soll danach auch finanziell in die Lage versetzt werden gegen „Sünden“ zu klagen, in Deutschland immer noch nicht vollständig umgesetzt ist.

Nach sechs Jahren Rechtsstreit endet das Verfahren

Die Hauptkritikpunkte des Klägers lauteten wie folgt:

  1. Das Kraftwerk mit 12 mm Horizontalrechen-Leitrechen wird Kleinfische und Brut, die in der Unteren Lahn schon kaum vorhanden sind, in unbekannter Höhe schädigen.
  2. Der Borstenfischpass ist ein Wanderhindernis für große Laichfische wie z.B. Barbe, Lachs usw. Sie schwimmen aufwärts bis unmittelbar hinter die Turbinen und finden mit hoher Wahrscheinlichkeit von dort den Einstieg in den Fischpass nicht. Gerade hat Fr. Dr. Adam, Institut für angewandte Ökologie, aus mehreren Feldversuchen an Fischaufstiegen mit der RFID- und HDX-T echnologie Schlussfolgerungen veröffentlicht. Trotz Fischaufstiegsanlagen ist die Durchgängigkeit stromauf stark eingeschränkt. Die bisher veröffentlichten Annahmen von Aufstiegsraten seien viel zu optimistisch, sodass sehr oft von isolierten Subpopulationen ausgegangen werden muss.
  3. Durch die geringere Beaufschlagung der Ausleitungsstrecke wird die bestehende „raue Rampe“, welche extra für den Lachsaufstieg errichtet wurde, schlechter aufgefunden. Die Fischwanderung richtet sich nach den Strömungsanteilen. Die geplante Maßnahme stellt somit eine klare Verschlechterung des Fischaufstieges für große Fische einschließlich der Lachse dar, die oberhalb Erhaltungsziel im FFH- Gebiet sind.
  4. Die Ausleitungsstrecke wird um 59% weniger durchströmt. Der Wasserstand sinkt erheblich und der Sauerstoffgehalt fällt zusätzlich durch weniger Eintrag beim Wehrüberlauf. Neben Sedimentablagerungen sind in den entsprechenden Streckenabschnitten Temperaturerhöhungen zu erwarten.
  5. Das Verschlechterungsverbot nach der Definition des EuGH Rechtssache C-461/13 geht bei der wichtigen Qualitätskomponente Fischfauna als Indikator der Wasserqualität ins Leere. Für einen Oberflächenwasserkörper von 1 bis 200 km und ein bis 3 Messstellen gilt: „Ist eine Qualitätskomponente bereits in der niedrigsten Klasse eingeordnet, stellt jede Verschlechterung dieser Komponente eine „Verschlechterung des Zustands“ eines Oberflächenwasserkörpers im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst, a Ziff. i dar. Da es nahezu in jedem Wasserkörper an der Durchgängigkeit fehlt, werden nur Subpopulationen in einem nahezu abgetrennten Abschnitt zwischen 2 Querbauwerken beprobt. Auswirkungen durch Eingriffe oberhalb oder unterhalb bleiben in der Regel unbemerkt. In der Urteilsbegründung zu diesem Auslegungsrechtssatz der Wasserrahmenrichtlinie stellt der EuGH im Weserurteil allerdings fest: „Diese Auslegung (des Verschlechterungsverbotes) wird durch Art. 4 Abs. 5 Buchst, c der Richtlinie 2000/60 bestätigt, der in Bezug auf erheblich veränderte Oberflächenwasserkörper, für die sich die Mitgliedstaaten die Verwirklichung weniger strenger Umweltziele vornehmen können, ausdrücklich ein Verbot jeder weiteren Verschlechterung vorsieht.“ Der EuGH hat in seinem Weserurteil diese Gleichstellung in Randnummer (Rdn.) 64 des Urteils vom 01.07.2015 leicht verständlich und nachvollziehbar begründet, wie es auch zahlreiche bekannte Rechtsanwälte auslegen, nur das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) und das OVG „übersehen“ diesen Fakt.Z wingend vorgeschrieben für Wasserkraft, die eine „gefährliche Tätigkeit“ im Sinne der Umwelthaftungsrichtlinie Richtlinie 2004/35/EG ist, das unter Vernachlässigung der Ziele der Wasserrahmenrichtlinie nur eine Ausnahme nach Art. 4 (7) WRRL oder WHG § 31. (2), eine Genehmigung rechtfertigt und eine Erlaubnis oder Bewilligung nicht ausreicht. Nach WRRL werden die Kriterien nach Art. 4 (7) b) bis d) in Bad Ems nicht erfllt. Immerhin bedeutet eine solche Ausnahme, den Verzicht auf die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie.
  6. Nicht beachtet wurde Art 4 Abs. 7 b) „Die Gründe für eine Ausnahme müssen einzeln im Bewirtschaftungsplan vor Erteilung einer Genehmigung aufgeführt sein“. Eindeutig wörtlich festgelegt vom Obersten Gericht in EuGH C-461/13 1.7. 15 Rdn.: 46, 47, EuGH C-346/14 4.5. 16 Rdn. 65, 67, EuGH C-529/15 10.1.17 Rdn. 30, 40 und Schlussanträgen C-461/13 Rdn. 59.
  7. Art. 4 Abs. 7 c) wurde nicht rechtskonform beachtet. Für Kleinwasserkraft besteht kein „übergeordnetes öffentliches Interesse“. Wasserrechts-Experten und Bundesministerium bestätigen das. Das Leitungsdokument Nr. 35 der EU-Kommission verweist auf das EuGH Urteil Schwarze Sulm C-346/14. Danach rechtfertigen 0,4 Promille der Stromerzeugung eines Mitgliedstaates, Österreich 3000 KW, Deutschland entsprechend 30 000 KW ein übergeordnetes öffentliches Interesse.
  8. Art 4 Abs. 7 d) fordert eine gründliche Alternativprüfung. Zur Erzeugung Erneuerbarer Energie von gerade 300 KW bestehen bessere Umweltoptionen.
  9. Eine FFH-Prüfung Anhang II Arten u. charakteristische Arten fehlt. Es wird in den Dokumenten nur festgestellt, dass der Standort nicht im Natura 2000 Gebiet ist, welches als solches auch von weit außerhalb nicht beeinträchtigt werden darf. Ein Verstoß Art. 6 Abs. 3 und 4. der FFH-Richtlinie für das FFH-Gebiet 5613-301 „Lahnhänge“.

Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes mit Nichtzulassung der Revision

  1. Das Vorbringen des Klägers unter den Punkten 1.- 4. wiegelt das Gericht mit der Bemerkung ab, es seien alles Behauptungen und zwei Fischtreppen wären besser als eine.
  2. Zu 5. Zitat des Gerichts in C-361/13 : „Hinzu kommt, dass sich ein allgemeines Verbot jeder weiteren Verschlechterung für erhebliche veränderte Oberflächenwasserkörper aus dem vom Europäischen Gerichtshof herangezogenen Art. 4 Abs. 5 Buchst, c WRRL auch nicht ableiten lässt. Art. 4 Abs. 5 WRRL betrifft nur den besonderen Fall, dass die Mitgliedstaaten sich – abweichend von den allgemeinen, hier interessierenden Grundsätzen des Art. 4 Abs. 1 WRRL – für einen bestimmten Wasserkörper weniger strenge Umweltziele setzen“. Gerhard Kemmler: „Genau das ist mit der Ausweisung der Unteren Lahn als erheblich verändertes Gewässer „Heavily Modified Water Bodies“ (HMBW) nach Art. 4 Abs. 5 geschehen!“
  3. Das Gericht behauptet: „Nur für diesen besonderen Fall ordnet Art. 4 Abs. 5 c) WRRL ein Verbot weiterer Verschlechterung an, ohne indes zu definieren, was unter einer Verschlechterung in diesem Sinne zu verstehen ist“.
    Gerhard Kemmler: „Offenbar erfindet das Gericht zu den gesetzten Gewässertypen der WRRL natürlich, erheblich verändert oder künstlich, einfach mal einen fiktiven Typ. Unglaublich!“
  4. Zu 7: Art 4 Abs. 7 b) das Zitat vom OVG: „Allein für den rheinland-pfälzischen Beitrag zu dem international koordinierten Bewirtschaftungsplan 2015 für die internationale Flussgebietseinheit Rhein“ waren 349 Oberflächenwasserkörper zu bewerten. Angesichts dieser Vielzahl einzustufender Oberflächenwasserkörper liegt es auf der Hand, dass die Einzelwertungen im Bewirtschaftungsplan nicht für alle Oberflächenwasserkörper und alle Qualitätskomponenten im Einzelnen nachgezeichnet werden können. Vielmehr reicht es aus, wenn Einzelheiten auf Nachfrage benannt und erläutert werden können. (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 9. Februar 2017 -7 A2/15 -juris, Rdn. 495). Die EU Kommission traf dazu allerdings andere konkrete Festlegungen. Das OVG: „Hiervon ausgehend erweist sich die Bewertung des Oberflächenwasserkörpers ,,Untere Lahn“ in dem Bewirtschaftungsplan – entgegen der Auffassung des Klägers – als ausreichend transparent“. Nach Ansicht des Klägers werden gleich mehrere EuGH Urteile ausgeblendet.
  5. Zu 8. Art 4 Abs. 7 c) Zitat OVG: „Die Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 WHG sind erfüllt. (Art. 4 Abs. 7 a) bis d): lnsbesondere ist der Beklagte zu Recht davon ausgegangen, dass der zu erwartende Nutzen der Wasserkraftanlage (300 KW) im Sinne des § 31 Abs. 2 Nr. 2 WHG größer ist als der Nutzen, welchen die Erreichung der Bewirtschaftungsziele hat. Der Nutzen der geplanten Wasserkraftanlage für eine nachhaltige Entwicklung den Nutzen, welchen die Erreichung der Bewirtschaftungsziele hat, hier im konkreten Fall überwiegt, auch wenn in der Literatur teilweise die Ausnahmefähigkeit kleiner Wasserkraftwerke in Zweifel gezogen wird (vgl. hierzu Czychowski/Reinhardt, WHG, 11. Aufl., § 31 Rdn. 15)“.
  6. Zu 9. Art 4 7 d) Zitat OVG: „Der Beklagte hat des Weiteren in rechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, dass die Ziele, die mit dem geplanten Wasserkraftwerk verfolgt werden, auch nicht durch andere geeignete Maßnahmen im Sinne des § 32 Abs. 2 Nr. 3 WHG erreicht werden können. Auch andere Arten der Energieerzeugung kommen nach § 32 Abs. 2 Nr. 3 WHG nicht als Alternativen in Betracht“. Um einen „Flächenbrand zu vermeiden, schlussfolgert das Gericht, das die getroffenen Entscheidungen nur für diesen Fall Bad Ems gelten.
  7. Zu 7: Auf Seite 16 der besagten ergänzenden Vorprüfung heißt es hierzu, der Standort liege nicht in einem Natura 2000- bzw. FFH-Gebiet. Außerdem hat die Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll erklärt, dass die Auswirkungen auf die FFH-Gebiete an der Oberen Lahn selbstverständlich auch Gegenstand der UVP-Vorprüfung des Beklagten gewesen seien. In den Gerichtsakten hat der Kläger nicht einmal einen Hinweis dazu gefunden.
 

Gerhard Kemmler: Sehr geehrte Leser, was das noch mit Rechtsstaatlichkeit zu tun hat, bleibt schleierhaft. Jedenfalls wird dieses Urteil, wie schon das Weserurteil des EuGH mit der fischfeindlichen Definition des Verschlechterungsverbotes die Qualitätskomponente „Fischfauna“ der Wasserrahmenrichtlinie keinen Schritt weiter bringen.“ Eine erste Information ist bereits an die zuständige Stelle in Brüssel gegangen. Auch der Direktor der UNESCO hat Post bekommen. Er möge den Antrag der Stadt Bad Ems zum Weltkulturerbetitel kritisch prüfen.

Gerhard Kemmler, hier als Sachbeistand bei Gericht